Die Stimmung kippt

Ist das nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm? Nach den starken Kursrutschen an der Börse haben sich die Aktienbewertungen etwas stabilisiert. Der Dax hält sich wacker über der 5000-Punkte-Marke und konnte heute sogar knapp drei Prozent zulegen auf 5346 Zähler. Doch es bleibt spannend, die Händler warten auf neue Meldungen in Sachen Verschuldungskrise.

Als Hoffnungsschimmer durften die aktuellen Daten des ifo-Geschäftsklimaindex gewertet werden. Hier werden monatlich mehrere tausend Manager zu ihren wirtschaftlichen Erwartungen gefragt. Der Index sank zwar zum dritten Male in Folge, doch nicht ganz so stark wie erwartet – auch das ist in diesen Tagen schon eine gute Nachricht an der Börse.

Verantwortlich für die scheibchenweise kippende Stimmung werden weltweite steigende Konjunktursorgen gemacht, die sich schnell ausbreiten können. Davon isoliert betrachtet sei die Lage hierzulande aber noch gut. Ein These, die auch neueste OECD-Zahlen untermauern: Nur in zwei Ländern liegt demnach die Arbeitslosigkeit derzeit unter dem Stand vor dem Ausbruch der Finanzkrise – in Chile und in Deutschland.

Italienische Tragödie

Die Herabstufung der Kreditwürdigkeit Italiens durch die Ratingagentur Standard & Poor’s kam nicht überraschend. Zu lange ist das hochverschuldete Land bereits in den Negativschlagzeilen. Ausschlaggebend mag nun aber die Chaos-Politik des umstrittenen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi gewesen sein, der durch seinen unberechenbaren Schlingerkurs jegliche Glaubwürdigkeit verspielt hat.

Zwar ist die finanzielle Lage Griechenlands im Vergleich zu Italien noch bedenklicher, doch man kann der dortigen Regierung zumindest nicht mehr vorwerfen, nicht genügend sparen zu wollen. Die Anstrengungen sind sogar so hoch, dass dadurch kontraproduktiv jegliches Wachstum abgewürgt werden könnte. Andere Verschuldungskrisenländer wie Irland und Portugal weisen dagegen bereits erste Erfolge auf.

Nicht so aber Italien. Warum jemand wie Berlusconi sich dort noch immer an der Macht halten kann, ist kaum noch nachvollziehbar. Zwar war das Land schon immer relativ stark verschuldet, doch die Steuer-, Bestechungs- und Sexskandale um den Regierungschef führen dazu, dass sich das immerhin zu den sieben führenden Wirtschaftsnationen weltweit gehörende Italien immer mehr zur Lachnummer Europas entwickelt.

Späte Einsicht

Große Tanker haben zwar eine Menge Kraft, sind aber deutlich weniger wendig als kleine Segelschiffe. Das trifft auch auf Industriekonzerne zu, die ihr Geschäftsmodell neuen Begebenheiten nicht so schnell anpassen können wie beispielsweise ein flexibles Start-Up-Unternehmen. Gut beobachten lässt sich dies derzeit am deutschen Energiemarkt.

Nach der Katastrophe von Fukushima folgte schnell ein breites gesellschaftliches Umdenken, selbst ehemals atomfreundliche Politiker forderten nun das Ende der Kernenergie. Das Ergebnis ist bekannt, der Atomausstieg in Deutschland beschlossene Sache. Zum Leidwesen der großen Energiekonzerne, die mal mehr und mal weniger dagegen protestierten.

Wenig zu hören war dagegen bislang vom Mischkonzern Siemens, der weltweit gut an der Atomkraft verdient hat. So war das Münchener Unternehmen auch am Bau der deutschen Kernkraftwerke beteiligt. Doch nun ließ Vorstandschef Peter Löscher in einem Nachrichtenmagazin verlauten, dass Siemens aus der Atomkraft aussteigen werde.

Die eigentlich auf diesem Gebiet geplante Zusammenarbeit mit dem russischen Konzern Rosatom werde umgewandelt und auf das Gebiet Medizintechnik beschränkt, hieß es dazu von russischer Seite. Im Bereich Energie setzt Siemens jetzt verstärkt auf erneuerbare Quellen wie Windkraft und Solarthermik, wenn auch die Gewinnmargen hier nicht mehr ganz so hoch sein dürften.

Ausgebremst

Alle zwei Jahre gilt diese Veranstaltung als das wichtigste Treffen der Automobilbranche. Und diesmal sollte die Internationale Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main eigentlich das ganz große Fest werden. Doch statt neuer Rekordzahlen und glänzender Weltpremieren wird auf der am Donnerstag beginnenden Messe die Angst vor einem neuen Konjunktureinbruch dominieren.

Die Zeiten der Abwrackprämie und der eher düsteren IAA im Krisenjahr 2009 sind noch gar nicht lange her, doch die Autoindustrie hatte sich überraschend schnell von den Auswirkungen der Finanzmisere erholt, nicht zuletzt auch dank der starken Nachfrage im Ausland. Die im Frühjahr noch glänzenden Aussichten haben sich allerdings wegen der Verschuldungsproblematik vieler Staaten schnell wieder eingetrübt.

Nach den starken Zuwächsen beim Automobilabsatz in 2010 und 2011 rechnen viele Branchenexperten daher für das kommende Jahr bestenfalls noch mit einer Stagnation. Das große Wachstum findet mittlerweile ohnehin in China statt. Die IAA muss also einiges bieten, um global nicht an Bedeutung zu verlieren – die nächste Automesse in Peking steigt Ende April 2012.

Rücktritt mit Folgen

Die Lage ist ernst. Das wird spätestens immer dann allen klar, wenn sich eine Situation derart zuspitzt, dass einer der Beteiligten sich von seinem Posten zurückzieht und sich damit auch von seiner Verantwortlichkeit für die Dinge verabschiedet. Jüngstes Beispiel ist der Rücktritt von Jürgen Stark als Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB).

Der Posten des EZB-Chefökonoms gilt als einflussreich und daher in der aktuellen Euro-Krise als besonders bedeutend. Der Abschied des erfahrenen Stark, der vor Jahren bereits den Maastricht-Vertrag mit ausgearbeitet hatte, kam deshalb überraschend und sorgte sogleich für Wirbel an den Märkten: Aktien, darunter vor allem Banktitel, verloren erneut deutlich an Wert und auch der Euro-Kurs rutschte weiter ab.

Nachfolger Starks soll der bisherige Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen werden – zuletzt stark in das Krisenmanagement der Bundesregierung involviert. Ähnlich wie Jens Weidmann, der nach dem Rücktritt Axel Webers das Amt des Bundesbankpräsidenten übernahm. Der Einfluss der Regierung auf die Notenbanken könnte damit steigen und ihre Unabhängigkeit gefährden.

Schweizer Koppelversuche

Kaum ein Tag vergeht derzeit ohne Turbulenzen an den Weltmärkten. Fallende Aktienkurse, steigende Rohstoffpreise und zunehmende Unsicherheiten bezüglich des Euro. Davon relativ unberührt stand lange der Schweizer Franken. Die Währung der Eidgenossen galt für viele als Zufluchtsort in unsicheren Zeiten. Doch das hatte bald negative Folgen.

Der Wert des Franken stieg, ähnlich wie der des japanischen Yen, immer weiter an – mit besorgniserregenden Folgen für die Schweizer Wirtschaft, denn der Export wird durch die harte Währung erheblich geschwächt, da die heimischen Produkte auf dem Weltmarkt einfach zu teuer und damit nicht mehr konkurrenzfähig sind. Es droht eine Deflation.

Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern, hat die Schweizerische Notenbank nun zu einer ebenso überraschenden wie drastischen Maßnahme gegriffen. Sie legte einen Mindestpreis für den Euro fest, dessen Wert zukünftig nicht unter 1,20 Franken fallen darf. Fraglich allerdings, ob die Notenbank diese Koppelung an den Euro durch Devisenkäufe auch auf Dauer durchsetzen kann.

Neuer Monat, neue Angst

Zur Beschreibung des Monats August finden Börsianer momentan nur eine Bezeichnung passend: katastrophal. Mehr als 20 Prozent verlor der Dax in diesem Zeitraum. Ähnlich schlecht wie dem deutschen Leitindex erging es den Börsen weltweit. Seit einigen Tagen haben sich die Märkte zwar stabilisiert, doch die Unsicherheit ist damit noch nicht beseitigt.

Denn nun wartet der September, traditionell ein schwacher Börsenmonat. Die Bilanz des Monats ist schlecht, so rutschte der Dax 1990 in diesem Monat um knapp 20 Prozent in die Verlustzone und im Jahr 2002 ging es sogar um 25 Prozent bergab. Auch in vielen anderen Jahren sah es im Spätsommer nicht viel besser aus.

Auch für diesen September sind die Vorzeichen nicht gerade beruhigend. Gleich am ersten Tag des neuen Monats senkte die USA ihre Wachstumsprognose deutlich nach unten. Die Aussichten für die Zunahme des Bruttoinlandprodukts im laufenden Jahr wurden von 2,6 auf 1,7 Prozent zurückgenommen – hinzu kommt eine konstant hohe Arbeitslosigkeit.

Über allem schwebt weiterhin die Schuldenkrise in den USA und in vielen europäischen Ländern. Eine nachhaltige Lösung scheint hier noch immer nicht in Sicht und belastet die Märkte. Und dann ist da noch der 11. September, an dem sich die Terroranschläge von New York zum zehnten Mal jähren. Ein Gedenktag, der sicher nicht zum Abbau der Nervosität an den Börsen beitragen dürfte.

Abstieg der Banken

Der wichtigste Börsenindex der Euro-Zone ist der EuroStoxx 50. In diesem sind die größten börsennotierten Konzerne der Währungsunion zusammengefasst. Für die 50 Unternehmen ist diese Mitgliedschaft nicht unwichtig, bedeutet die Zugehörigkeit zu einem solchen Index eine höhere Liquidität am Markt, denn viele Fonds setzten auf solche prominenten Indizes.

Gestern wurde erneut über die Zusammensetzung des EuroStoxx 50 verhandelt – über die Zugehörigkeit eines Unternehmens entscheiden Marktkapitalisierung und Streubesitz. Neben dem französische Energiekonzern Alstom gehört auch eine Bank zu den Absteigern: das schwächelnde Institut Crédit Agricole. Im Stoxx 50, hier sind die Unternehmen des gesamten Kontinents vertreten, hat es die Geldhäuser noch stärker getroffen – neben den Franzosen fliegen auch die italienischen Institute Unicredit und Intesa Sanpaolo raus.

Immerhin, die derzeitige Stärke der deutschen Wirtschaft spiegelt sich auch im EuroStoxx 50 wieder. Die Vorzugsaktie des Automobilherstellers Volkswagen schafft ein Comeback in diesem Index – damit sind insgesamt 14 Titel aus dem größten deutschen Index Dax nunmehr auch in der höchsten Euro-Börsenliga vertreten.

Chance vertan

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Mit dieser Aussage soll der russische Politiker Michail Gorbatschow, zumindest sinngemäß, im Oktober 1989 den damaligen DDR-Staatschef Erich Honecker kritisiert haben – kurz darauf musste Honecker abdanken und noch im November desselben Jahres fiel die Mauer. Die DDR gibt es nicht mehr, doch der Satz wurde zu einem geflügelten Wort.

Und bisweilen passt er auch zur Börse. Und zwar besonders, wenn es um Börsengänge in Deutschland geht. Denn wenn in anderen Ländern Unternehmen zuhauf ihr „Initial Public Offering“ (IPO) durchziehen, wird hierzulande trotz stabiler Börsenlage oft lange gezögert. Meist zu lange, denn das Fenster für Börsengänge schließt sich in turbulenten Zeiten wie momentan sehr schnell wieder.

Viele Monate hatten die deutschen Unternehmen nun Zeit, den geplanten Gang aufs Parkett zu wagen. Im Herbst sollte es soweit sein: Bekannte Namen wie Osram, Evonik oder Hapag-Lloyd standen bereits in den Startlöchern. Doch nach den jüngsten Kursrutschen werden diese Pläne nun wieder einmal gestoppt – bis zur nächsten Chance, wann auch immer sich diese bietet.

Ungebremster Optimismus

Die Kursveränderungen an den Börsen sollen eigentlich die wirtschaftliche Entwicklung der Zukunft vorwegnehmen. Steigt der Dax, dann wächst auch die Wirtschaft in Deutschland. Fällt dagegen der Börsenindex so stark wie momentan, dann sind die Aussichten am heimischen Konjunkturhimmel meistens düster. Dazu scheint auch das aktuelle Wirtschaftswachstum zu passen.

So vermeldete das Statistische Bundesamt, dass das Bruttoinlandprodukt im zweiten Quartal nur noch um 0,1 Prozent zugelegt hat. Im ersten Quartal lag das Plus noch bei 1,3 Prozent. Für viele Experten deutet dieser Rückgang bereits auf einen neuerlichen Konjunktureinbruch hin. Die unsichere Situation in den USA und im Euro-Raum sprechen zumindest für eine Konjunkturdelle, wenn nicht sogar für eine neue Rezession.

Nicht so sieht das die Politik. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble rechnet weiterhin mit einem starken Wachstum von drei Prozent auf Jahressicht. Und unter diesen Voraussetzungen gilt auch die optimistische Rechnung des Ministeriums, dass die deutsche Neuverschuldung auf 1,5 Prozent sinken könnte. Eine im europäischen Vergleich beeindruckende Zahl – offenbar jedoch nicht an der Börse.