Deutschland boomt. Diesen Eindruck könnte man zumindest haben, wenn man in diesen Tagen die Schlagzeilen in vielen Medien liest. Das Wirtschaftswachstum von derzeit rund 3,5 Prozent wird allerorten gefeiert, ein Boulevardblatt schrieb gar „Deutschland fährt wie ein D-Zug aus der Krise“, die ansonsten schwächelnde Regierungskoalition stimmt gerne in diese Euphorie ein. Alle berufen sich dabei auf das Bruttoinlandprodukt, das gerne mit den drei Buchstaben BIP abgekürzt wird.

Doch die positive Stimmung wird bei genauerem Hinsehen von zwei Dingen getrübt: Einerseits ist das BIP im Vorjahr um satte 5 Prozent abgestürzt, der derzeitige Zuwachs ist also relativ gesehen eher eine kleine Wiedergutmachung nach dem Einbruch in der Finanzmisere – das Vorkrisenniveau ist hier noch lange nicht wieder erreicht. Doch weitaus schwerer wiegt, dass das BIP als Kennzahl schon lange nicht mehr zeitgemäß ist.

So steigt das BIP zum Beispiel auch dann an, wenn mehr Menschen krank werden, wenn Umweltschäden repariert werden müssen oder das Land Kriege führt – ein ehrlicher Wohlstandsindikator sieht anders aus. So erhöhte sich das BIP in der Vergangenheit mit wenigen Ausnahmen jedes Jahr, doch zugleich nahm auch die Armut verbreitet zu. Man darf also getrost von einem Versagen der Kennzahl BIP in diesem Bereich sprechen.

Ein neuer Indikator muss her, der auch die negativen Folgen des Wirtschaftswachstums auf Umwelt, Gesundheit und soziale Belange einberechnet. Ökonomen haben hier schon lange aussagekräftige Modelle vorgeschlagen, die zum Beispiel berücksichtigen, wie viel Freizeit Menschen in einem Land haben, wie hoch die Gefahr ist, sozial abzurutschen und bei wie vielen Jahren die Lebenserwartung liegt.

Nun ist es Aufgabe der Politiker, sich endlich vom „heiligen“ BIP aus dem vergangenen Jahrhundert zu verabschieden und eine moderne Kennzahl zu etablieren. Ein Anfang wurde jetzt zumindest gemacht, denn eine Untersuchungskommission des Deutschen Bundestages soll einen ganzheitlichen Wohlstandsindikator entwickeln.

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